Rezension über:

Martin Schermaier (Hg.): The Position of Roman Slaves. Social Realities and Legal Differences (= Dependency and Slavery Studies; Vol. 6), Berlin: De Gruyter 2023, VI + 310 S., ISBN 978-3-11-099868-9, EUR 79,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Ulrike Roth
University of Edinburgh
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Ulrike Roth: Rezension von: Martin Schermaier (Hg.): The Position of Roman Slaves. Social Realities and Legal Differences, Berlin: De Gruyter 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 4 [15.04.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/04/38518.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Martin Schermaier (Hg.): The Position of Roman Slaves

Textgröße: A A A

Die Vielfältigkeit des Sklavendaseins im alten Rom ist weithin bekannt und oft thematisiert worden. Dank einer sehr reichhaltigen Quellenlage generiert das Thema immer wieder wichtige neue Erkenntnisse und interessante Ausführungen - wie auch in dem von Martin Schermaier herausgegebenen Sammelband The Position of Roman Slaves. Social Realities and Legal Differences. Sieben Rechtshistoriker und eine Rechtshistorikerin diskutieren in diesem Band in neun Kapiteln diverse juristische Aspekte, die Einsicht in die Lebenswelt der Versklavten in der römischen Gesellschaft erlauben. Hauptsächlich geht es in diesem Band aber darum, die scheinbar einheitliche Rechtslage des Sklavenstands zu hinterfragen. Diese Problemstellung wird vom Herausgeber in seiner (kurzen) Einleitung klar betont und das Ziel des Bandes entsprechend dargestellt (v-vi):

"Roman slavery was more diverse than we might assume from the standard wording about servile legal status [...] The papers in this volume now pose the question of whether and how legal texts reflected such social differences within the Roman servile community."

Obwohl nicht alle Kapitel gleichermaßen auf diese Frage eingehen, wird in dem hier zu besprechenden Band ein vielschichtiges Bild der rechtlichen Position der Versklavten im Spiegel ihrer gesellschaftlichen Stellung(en) skizziert, und damit das Ziel erreicht, das Bild der absolut rechtlosen Sklavenfigur begründet und erfolgreich in Frage zu stellen: "to challenge the homogeneous image of Roman slave law that still dominates modern scholarship" (vi).

Nachdem Schermaier in einem einführenden Kapitel (1-24) u. a. auf die konzeptionellen Verzerrungen hinweist, die entstehen, wenn die römische Rechtslage zur Sklaverei aus der Perspektive späterer Rechtssysteme, die das römische Recht als Vorbild für die Entwicklung eigener Sklavengesetzgebungen nahmen (z. B. den Code Noir), gesehen wird, macht Thomas Finkenauer den eigentlichen Anfang mit seiner Analyse der rechtlichen Stellung von filii naturales, den blutsverwandten Kindern von versklavten Männern und Frauen (25-66). Finkenauer zeigt ebenso deutlich wie überzeugend, wie die römische Jurisprudenz solche Verwandtschaften durchaus unter gewissen Umständen anerkannte, was im Gegensatz zu der Idee der 'natal alienation' steht, die Orlando Patterson in seinem Werk Slavery and Social Death von 1982 für die Sklaverei als typisch dargestellt hatte.

Die außergewöhnliche Situation der (oder besser: einiger) Sklaven des Kaisers ist das Thema von Pierangelo Buongiorno (67-86), der in seinem eher unfokussierten Kapitel für eine Minderung der sozialen und wirtschaftlichen Stellung der servi und liberti Caesari nach dem ersten Jahrhundert n.Chr. als Resultat der Entwicklung einer sich entwickelnden Bürokratie argumentiert.

Im Doppelschlag geht dann Richard Gamauf erst auf das Sklavenpeculium ein (87-124), bevor er das Image der Dispensatoren bei den römischen Juristen mit demjenigen in den Satyrica des Petronius vergleicht (125-163; die Studie wurde zuvor schon auf Deutsch publiziert: Index 49, 2021, 112-132). Beide Kapitel sind einem übergreifenden Ansatz verschrieben. Was das Peculium anbelangt, zielt Gamauf auf die Vielschichtigkeit der Materie außerhalb der rechtlichen Quellen ab, um damit der antiken Lebensrealität näher zu kommen. Im Gegenzug erlaubt dann gerade die Verbindung der rechtlichen und literarischen Quellen zu den Dispensatoren deren hervorgehobene Stellung vis-à-vis anderer Sklavenrollen zu unterstreichen.

Die Komplexität der Rolle der Versklavten, wenn es ums Erben ging, steht dann im Zentrum des Beitrags von Wolfram Buchwitz (165-185). Besonders relevant für das Thema des Bandes ist hier die Diskussion der Möglichkeit, nicht nur einen eigenen Versklavten als Erben einzusetzen, sondern auch servi alieni. Eher weniger bevorteilt waren im Gegensatz die servi poenae (also jene, die der Staat als Bestrafung versklavte), und dies ganz egal, ob die servi poenae eine andere gesetzliche Sklavenkategorie zu denen darstellte, die im Besitz von Privatpersonen standen, wie es Aglaia McClintock in ihrem Kapitel postuliert (187-201).

Im Zweifel für die Freiheit ist, vielleicht eher überraschend, eine juristische Einstellung, die klar belegt ist, und die Jakob Fortunat Stagl in seinem Kapitel zum favor libertatis in den Blick nimmt (203-236). Wenngleich durchaus Skepsis geboten ist gegenüber der Bezeichnung der Juristen als 'freedom fighters' (203), so unterstreicht Stagl durch die Betonung der differenzierten, und durchaus freiheitsbejahenden Einstellung der Juristen, zurecht die Komplexität der Rechtsquellen.

Schermaiers Zusammenschau vieler Zeugnisse, die Grauzonen zwischen der Lebensrealität und der Jurisprudenz belegen, schließt den Band (237-268).

Zweifelsohne bietet dieser Sammelband viel 'food for thought', was hoffentlich weitere Diskussionen anregt, v. a. solche, die rechtswissenschaftliche und gesellschaftswissenschaftliche Expertise stärker miteinander vereinen, als dies im vorliegenden Band geschehen ist. Dies würde helfen, veraltete und vereinfachende historische Ansätze zu vermeiden, die die Ausführungen zum eigentlichen Thema in dem vorliegenden Band des Öfteren schwächen. Die Idee, dass die biologische Sklavenreproduktion erst mit Augustus in Mode kam, muss mittlerweile ebenso als überholt gelten wie die unterschwellige Vorstellung vom Sklavenmangel in der Kaiserzeit. [1] Inwieweit Rebellion von Seiten der Versklavten für die historische Interpretation in Anbetracht gezogen wird, ist stark von der Geschichte der sogenannten Sklavenkriege beeinflusst, v. a. der Sizilischen, die aber in der jüngeren Forschung neu aufgearbeitet worden ist. [2] Als problematisch ist weiterhin anzusehen, dass die rechtliche Regulierung der Manumission unter Augustus hier wiederholt als (quantitative) Limitierung dargestellt wird, obgleich sogenannte formlose Freilassungen offensichtlich nicht limitiert waren (gegenüber 195, 227-228, anders 220 in vorliegendem Band). Warum schließlich ein Band, der wiederholt darauf hinweist, dass es kein römisches Sklavenrecht gab (z. B. Schermaier: 'There is no uniform law on slavery, or even slave law as distinct from other areas of law, in the Roman legal sources', 237), genau auf diesen Begriff zurückgreift ('slave law', z.B. i, vi, 71, 211), was analytisch irreführend ist, ist schwer nachvollziehbar. Es ist außerdem grundsätzlich zu bedauern, dass literarische Zeugnisse eher oberflächlich ausgelegt werden (z. B. 146, wo Trimalchios sexueller Kontakt mit der Frau seines Herrn als eine Art freie Partnerwahl verstanden wird, nicht als sexuelle Gewalt, oder 182, wo die Zufriedenheit der Versklavten aus den selbstgefälligen Worten des Plinius abgelesen wird).

Es wäre wünschenswert gewesen, wenn derartige Aspekte und Widersprüchlichkeiten im Rahmen des Redaktionsprozesses behoben worden wären. Dies gilt auch für die vielen Wiederholungen von Quellen und Forschungsstandpunkten, die sich ohne Auseinandersetzung bei den Autoren im Band finden (vgl. z. B. 107-113 mit 263-265), bedingt durch die intensive Ausbeutung früherer Publikationen der Autoren für ihre jeweiligen Kapitel. Trotz der ursprünglichen Konferenz 'in person', aus der dieser Band hervorgegangen ist, stehen die Kapitel daher trotz des gemeinsamen thematischen Rahmens eher für sich.

Diese Kritikpunkte schmälern aber keineswegs den großen Wert der hier besprochenen Publikation. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die über den Rahmen dieses Bandes hinausblicken möchten und außerdem selbst die Expertise besitzen, weitere Aspekte in den Blick nehmen zu können. Von der Lektüre aber können zweifelsohne alle an der Thematik Interessierten profitieren, nicht zuletzt wegen der Zusammenstellung vieler relevanter und hochinteressanter juristischer Zeugnisse, die markant die Vielschichtigkeit der Stellung der Versklavten in der römischen juristischen Perspektive und Praxis vor Augen führen - und damit im Einklang stehen mit deren durchaus unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen und Positionen.


Anmerkungen:

[1] Siehe z. B.: W. Scheidel: Quantifying the sources of slaves in the early Roman empire, in: Journal of Roman Studies 87 (1997), 156-169; U. Roth: Thinking Tools: Agricultural Slavery between Evidence and Models, London 2007; gegenüber 41, 55, 251, 268 im vorliegenden Band.

[2] Siehe z.B.: P. Morton: Eunus: the cowardly king, in: CQ 63 (2013), 237-252; und Ders.: The geography of rebellion: strategy and supply in the two 'Sicilian Slave Wars', in: BICS 57 (2014), 20-38; jetzt auch Ders.: Slavery and Rebellion in Second-Century BC Sicily: From bellum servile to Sicilia capta, Edinburgh 2023; gegenüber 59, 215, 226-227 im vorliegenden Band.

Ulrike Roth