Rezension über:

Johanna Steinfeld: Unternehmen ohne Eigentümer. Unternehmerische Entscheidungen der Optischen Werkstätte Carl Zeiss von 1889 bis 1933 (= Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte; Bd. 37), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2023, VIII + 339 S., ISBN 978-3-11-105283-0, EUR 89,95
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Rezension von:
Jacob Bohé
Universität Bielefeld
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Jacob Bohé: Rezension von: Johanna Steinfeld: Unternehmen ohne Eigentümer. Unternehmerische Entscheidungen der Optischen Werkstätte Carl Zeiss von 1889 bis 1933, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 4 [15.04.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/04/38613.html


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Johanna Steinfeld: Unternehmen ohne Eigentümer

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Wenige Städte sind derart eng mit einem Unternehmen verbunden wie Jena mit Zeiss. Der städtische Fußballclub FC Carl Zeiss Jena trägt bis heute den Namen des Unternehmens in seinem Titel und die Carl Zeiss Stiftung ist bis in die Gegenwart in der Stadt und an den Hochschulen engagiert. Elementar für diese enge Bindung zwischen Stiftung und Stadt sowie Universität war das Statut der Carl Zeiss Stiftung. Etabliert wurde es von Ernst Abbe (1840-1905), dessen optische Forschung an der Universität Jena und in der Optischen Werkstätte essenziell für den Erfolg der jungen Firma war. Abbe verband in seiner Person die Rolle des Unternehmers und des Forschers. Er war seit 1870 außerordentlicher und ab 1878 ordentlicher Honorarprofessor an der Universität Jena. Bei der Optischen Werkstätte wurde er 1875 stiller Teilhaber und nach dem Tod von Carl Zeiss 1888 und dem Rückzug dessen Sohnes aus der Geschäftsleitung alleiniger Geschäftsführer. Kurz darauf forcierte Abbe die Gründung der Stiftung, die 1891 zur alleinigen Inhaberin der Optischen Werkstätte wurde. Dieser Umbau der Unternehmensorganisation zur Stiftungskonstruktion wirft die Frage auf, inwieweit sich die statuarischen Vorgaben der Stiftung auf die Unternehmensführung auswirkten. In ihrem Buch "Unternehmen ohne Eigentümer" geht Johanna Steinfeld genau dieser Frage nach. Die Arbeit ergänzt damit die bereits gut erforschte Historie der Stiftung und des Unternehmens um die Auswirkungen des Stiftungsstatuts auf die Unternehmensführung. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von der Stiftungsgründung im Jahr 1889 bis zu den Eingriffen des nationalsozialistischen Regimes in die Unternehmensführung ab 1933.

Die Ausgangsthese der Untersuchung lautet, dass die Unternehmensorganisation einen Einfluss auf die Unternehmensführung hatte, wodurch "die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen den Bedingungen der Unternehmensführung und der Praxis der Unternehmensführung" (6) möglich wird. Hierbei betont Steinfeld die Rolle des Stiftungsstatuts, das zum einen "von einem besonders umfassenden Gestaltungsanspruch Abbes zeugt und zum anderen dauerhaft gelten sollte" (9).

Methodisch werden verschiedene Elemente der Neuen Institutionenökonomik genutzt. Unter Rückgriff auf die Prinzipal-Agenten-Theorie will Steinfeld die Entscheidungen und Beziehungen der verschiedenen Organe der Stiftung in Bezug auf das Stiftungsstatut analysieren. In den Interaktionen zwischen Geschäftsleitung und Stiftung hebt sie vor allem Informationsasymmetrien zugunsten der Geschäftsführung hervor. Mit unterschiedlichen Monitoringmaßnahmen war die Stiftungsverwaltung bemüht, die Aufsicht über die Geschäftsleitung zu behalten. Hierbei wird die Prinzipal-Agenten-Konstellation zwischen Stiftungsverwaltung und Unternehmensführung um den Stifterwillen Ernst Abbes als "fiktiver Prinzipal" (24) ergänzt.

Das zweite und dritte Kapitel geben den Leserinnen und Lesern einen Überblick über die Entwicklung der optischen Industrie und des Unternehmens Carl Zeiss. Abbes Beweggründe zur Stiftungsgründung und der genaue Weg der Optischen Werkstätte zum Stiftungsunternehmen werden in Kapitel 4 aufgezeigt. Basierend auf Einblicken in die Biografie Abbes rekonstruiert Steinfeld die sozialen und kulturellen Aspekte, die der Stiftungsgründer fortan im Unternehmen gebunden sehen wollte. Mit dem fünften Kapitel beginnt der eigentliche empirische Teil der Arbeit. Zunächst wird die Aufteilung der Unternehmensführung durch das Stiftungsstatut auf die drei Organe - Stiftungsverwaltung, Geschäftsleitung und Stiftungskommissar - beschrieben. Die verschiedenen Aufgabenfelder der Organe werden dabei klar herausgestellt und gegeneinander abgrenzt.

Die vier analytischen Kapitel zur Personal- und Lohnpolitik (Kapitel 6), zur Investitionspolitik (Kapitel 7), zur Stiftungspolitik (Kapitel 8) und zur Finanzierungspolitik (Kapitel 9) sind thematisch ausgerichtet und untersuchen jeweils den gesamten Zeitraum zwischen 1889 bis 1933. Dabei widmen sich die Kapitel 6 bis 8 je einem Aspekt der Mittelverwendung der Stiftung. Dies ermöglicht Johanna Steinfeld, die unterschiedlichen Prioritäten zwischen Geschäftsführung und Stiftungsverwaltung und die damit einhergehenden Prinzipal-Agenten-Probleme zwischen den beiden Organen aufzuzeigen.

In der Betrachtung der Personal- und Lohnpolitik (Kapitel 6) werden zunächst die besonderen Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter hervorgehoben, wie der Anspruch auf festen Lohn, Pensionen, Abgangsentschädigungen oder die Weiterzahlung des Lohns bei Verkürzung der Arbeitszeit. Diese sozialpolitischen Vorgaben des Statuts waren ihrer damaligen Zeit weit voraus, wurden durch die Geschäftsleitung aber, wie Steinfeld anhand der umfassenden Quellenauswertung verdeutlicht, als Bürde aufgefasst. Ihre Analyse verfolgt den Umgang der Geschäftsleitung mit den starren Vorgaben des Statuts und verdeutlicht die Versuche, eine höhere gehaltspolitische Flexibilität zu erlangen. Im Kontrast zu den folgenden Kapiteln zeigten sich Konflikte vor allem zwischen Geschäftsführung und den Arbeiterinnen und Arbeitern, da die Stiftungsverwaltung in den meisten Fällen mit der Linie der Geschäftsführung übereinstimmte.

Gegensätze zwischen der Geschäftsführung und der Stiftungsverwaltung traten besonders bei der Investitionspolitik hervor (Kapitel 7). Die Geschäftsführung verfolgte einen recht aggressiven Expansionskurs. Wie Steinfeld ausführt, lag dies nicht zuletzt an der Stiftungskonstruktion, die "einerseits Vorteile auf dem Weg zum Konzern bot [...]. Auf der anderen Seite wurden die Schritte des externen Wachstums mit großer Wahrscheinlichkeit erst durch die Nachteile der Optischen Werkstätte gegenüber anderen Unternehmen motiviert" (265). Die Stiftungsverwaltung mahnte hingegen immer wieder zu einer vorsichtigeren Expansions- und Haushaltspolitik. Gerade in diesem Kapitel gelingt es der Autorin, die theoretischen Ansätze der Neuen Institutionenökonomik gewinnbringend einzusetzen. So zeigt sie verschiedene Fälle, in denen die Geschäftsführung versuchte, die Aufsicht der Stiftungsverwaltung zu umgehen. Seitens der Stiftungsverwaltung wurde dies mit verschiedenen Maßnahmen des Monitorings beantwortet, in denen sich grundlegende Informationsasymmetrien der Prinzipal-Agenten-Beziehung widerspiegeln.

Das achte Kapitel vertieft die Betrachtung des Konflikts anhand der Stiftungspolitik. Auch hier nahm die Geschäftsleitung die Vorgaben des Statuts als eine Bürde wahr, da zu verteilende Mittel nicht mehr für Investitionen in das Unternehmen zur Verfügung standen. Mit dem Stiftungsstatut hatte Abbe die finanzielle Förderung der Universität sowie sozialer und kultureller Einrichtungen in der Stadt Jena bedacht. Johanna Steinfeld zeigt, wie die Geschäftsleitung zunächst nach dem Ausscheiden von Abbe und besonders nach seinem Tod bemüht war, jene Fördermittel zu begrenzen bzw. Vorteile für die Optischen Werkstätte zu erzielen. Die Mittelverteilung wird folglich als ein zentrales Konfliktfeld zwischen Geschäftsleitung und Stiftungsverwaltung dargestellt, wobei "die gemeinnützigen Zwecke deutlich hinter den Interessen des Unternehmens zurückstanden" (290). Die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten, die der Stiftungskonstruktion zur Verfügung standen, werden in Kapitel 9 beleuchtet. Der Arbeit gelingt es hier die Vor- und Nachteile der Stiftungskonstruktion herauszuarbeiten, aber auch die Wahl des Finanzierungsmittels mit den Interessen der Organe hinsichtlich der Personal- und Haushaltspolitik, der Investitionspolitik und der Stiftungspolitik zu verzahnen.

Das Fazit unterstreicht die Stärken der Dissertation, die sich aus einer umfassenden Auswertung von Quellen des Zeiss Archivs sowie aus dem fruchtbaren Zusammenspiel zwischen theoretisch-methodischem Ansatz und empirischer Arbeit ergeben. Die Kapitel greifen gut ineinander und bilden wichtige Teilaspekte für das Gesamtbild der Arbeit. Die Untersuchung zeigt überzeugend, wie sich das Stiftungsunternehmen Carl Zeiss zwischen den sozialen und kulturellen Anforderungen des Statuts und den marktwirtschaftlichen Anforderungen eines Unternehmens der optischen Industrie bewegte. Dabei ergab sich der Erfolg des eigentümerlosen Unternehmens nicht zuletzt daraus, dass es keine Unternehmenserträge an Eigentümern ausschütten musste. Auch standen der langfristige Erhalt des Unternehmens und gesicherte Stiftungszuwendungen klar vor kurzfristigen Gewinnen.

Jacob Bohé